Andreas Buro

Ein pazifistischer Blick auf Libyen

Beim militärischen Eingreifen von NATO-Staaten in Libyen entstehen Zweifel über die wirklichen Motivationen. Warum nur in Libyen ein und nicht in Saudi-Arabien, Syrien, Israel, Simbabwe oder an der Elfenbeinküste? Bei der NATO-Intervention in den libyischen Konflikt wird viel von einer ‚Humanitären Intervention‘ gesprochen. Die Ideologie von der „Humanitären Intervention“ ist die Fortsetzung der Ideologie vom „Gerechten Krieg“, der wichtigsten Legitimationsideologie für fast alle Kriege. Welche Folgen hätte es, wenn Pazifisten sich für eine humanitäre Intervention mit militärischen Mitteln einsetzten?

Kriegerisch intervenieren kann man nur mit überlegenen Kräften. Deshalb muß ständig qualitativ aufgerüstet werden, um diese Überlegenheit zu sichern. Selbst wenn der Militäreinsatz angeblich nur das letzte Mittel sein soll, schafft man damit eine Dauerlegitimation für Aufrüstung, die andere Staaten als bedrohlich empfinden und die destabilisierend wirken.

Die ‚militärisch‚ humanitäre Intervention‘ kann nur gegenüber vermutlich schwächeren Staaten und nicht gegenüber starken Staaten erfolgen. Sie wird damit zum Herrschaftsinstrument der großen und militärisch besonders potenten Staaten. Wenn aber militärische Aufrüstung und gar der Besitz von Atomwaffen scheinbar Sicherheit vor Eingriffen von außen verspricht, wer will dann noch abrüsten?

Verhandlungen im Zeichen der ‚militärisch, humanitären Intervention‘ werden zur Durchsetzung von Positionen geführt, aber nicht, um Kompromisse zu finden: "Und bist Du nicht willig, so brauch‘ ich Gewalt" ist die Devise. Die Verhandlungen der NATO in Rambouillet im Vorfeld des Krieges gegen Jugoslawien gaben dafür drastisches Anschauungsmaterial.

Um glaubwürdig zu sein, muß die Behauptung der ‚militärisch, humanitären Intervention‘ ständig legitimiert werden. Sind keine „Beweise“ vorhanden, so müssen sie erfunden werden. Es besteht der ständige Drang zur Verbreitung von Falschdarstellungen und Lügen. Dies war im Irak- und im Kosovo-Krieg reichlich zu beobachten. Solche irreführenden Darstellungen verhetzen die Bevölkerung und schaffen psychische Feindbilder vom ‚bösen Gegner‘, dem alles Schlechte angelastet wird. So verstellen sie den Blick auf die wirklichen Verhältnisse und führen zu Realitätsverlust.

Schließlich: Wo sind eigentlich die „guten“ Staaten, die tatsächlich zur Sicherung der Menschenrechte und nicht aus ganz anderen Interessen militärisch intervenieren? Ein Blick auf das vergangene Jahrhundert oder selbst nur auf dessen letzte Hälfte macht ratlos.

Darf man – „Kollateralschäden“ in Kauf nehmend - Menschen töten und ihre Lebensgrundlagen, also die Infrastruktur ihres Landes, zerstören, um die Rechte und das Leben von anderer Menschen zu retten? Nach einem Vortrag zum Kosovo-Krieg fragte eine Frau: „Bei wieviel jugoslawischen Toten hört die ‚humanitäre Intervention‘ auf, humanitär zu sein?“

Für Pazifisten ist aus diesen Gründen die militärisch, humanitäre Intervention unannehmbar. Sie wollen doch den militärischen Konfliktaustrag überwinden zugunsten einer zivilen Konfliktbearbeitung. Dies gilt ohne Bewertung der Sympathie, die mit dem Anliegen der einen oder der anderen Seite in einem Konflikt gegeben sein mag. Wir vergessen nicht die Tragödien die mit den gewaltsamen Kämpfen von Befreiungsbewegungen verbunden waren. Ihre hehren Ziele von Sozialismus, Freiheit und Demokratie gingen verloren, da, sehr verkürzt gesagt, im militärischen Kampf autoritäre Strukturen dominant wurden und in der Nachkriegszeit diktatorische Tendenzen begünstigten. Das gilt voraussehbar auch für Revolutionskriege in Nordafrika.

Historischer Hintergrund der arabischen Aufstände

Nach dem Zweiten Weltkrieg fand eine Auflösung vieler ehemaliger Kolonien statt. Dies war jedoch nicht gleichbedeutend mit der Aufgabe der Herrschaft über diese neuen Staaten. Die westlichen Mächte stabilisierten ihre indirekte Herrschaft über die ehemaligen Kolonien durch eine Kooperation zwischen den herrschenden Eliten im Westen und denen in den entkolonialisierten neuen Staaten. Das Grundmuster lautete: Stabilität, Marktzugang, militär-strategische Stützpunkte und Ressourcen für die westlichen Eliten gegen die Akzeptanz der Ausplünderung und Unterdrückung der Bevölkerung in den jeweiligen Ländern durch die peripheren Eliten. Diese wurden oftmals aus dem Verkauf der Rohstoffe und Lizenzen ihrer Länder reich, während die Bevölkerung verarmte und die Entwicklung des Landes stagnierte. Die westlichen Ökonomien profitierten von günstig erworbenen Rohstoffen und sorgten durch Rüstungsexporte für die Stabilisierung der Diktaturen.

Dieses Muster von Unterdrückung und Ausbeutung, das immer schon im krassen Gegensatz zu allen im Westen verkündeten Werten von Menschenrechten und Demokratie stand, wird durch die Aufstände in den arabischen Ländern in Frage gestellt. Im Rahmen der globalen Machtverschiebungen zuungunsten der westlichen Mächte wird dieser Prozess voraussichtlich nach und nach weitere Länder erfassen.

Das politische Stottern der westlichen Eliten ist auf diesen Grundwiderspruch ihre bisherigen Politik zurück zu führen. Sie suchen nun nach einem Weg, der einerseits ihren Einfluß sichert und andererseits sie nicht zu Feinden der Reformer im arabischen Raum werden läßt. Dabei eignet sich scheinbar der Krieg gegen Gaddafi, der sich in Afrika viele Feinde gemacht hat, besonders gut. Johan Galtung warnt jedoch, der Krieg könne sich ausweiten und sogar 10 Jahre dauern.

Selbstverständlich haben Pazifisten kein Zaubermittel, um eskalierte militärische Konflikte schnell still zu legen. Unsere direkten Einflußmöglichkeiten bei den kämpfenden Parteien in Libyen sind gleich Null. Möglich ist aber auf die eigenen Regierung einzuwirken, indem wir für einen Waffenstillstand und eine Vermittlung zwischen den Konfliktparteien plädieren, indem wir großzügige humanitäre Hilfe für Kriegsopfer und Flüchtlinge auf allen Seiten einfordern und selbstverständlich auf den Stopp der Rüstungsexporte auch über Libyen hinaus dringen. Wir müssen für eine faire Berichterstattung eintreten, die nicht im Freund-Feind-Denken gefangen ist. Der westliche Anteil an der Entstehung und Stabilisierung der Diktaturen in Afrika ist zu thematisieren. Etwaigen Bemühungen, diese Verhältnisse über den Aufstand der Bevölkerungen hinaus zu retten, muß entgegen getreten werden. Mit all diesen Aktivitäten ist die Forderung zu verbinden, die präventive Zivile Konfliktbearbeitung im Sinne von Friedenspolitik statt Militärpolitik zügig auszubauen.

Pazifisten haben keinen Anlaß, sich auf Argumentationen und Kalkulationen über gewalttätige Eingriffe in Libyen im Sinne der Ideologie der militärischen humanitären Intervention einzulassen. Dabei schrecken wir nicht vor dem Vorwurf zurück, Deutschland begebe sich auf einen Sonderweg und würde sich in der NATO isolieren. Wäre es so, würden wir es begrüßen, wenn Deutschland einen Sonderweg der friedlichen Konfliktbearbeitung beschritte. Vermutlich würden manche Länder einem solchen Kurs folgen.

Aus den hier genannten Gründen widerspreche ich auch dem von mir hoch geschätzten Uri Avnery, der vehement für die militärische Intervention der NATO in Libyen eintritt. Er setzt damit auf die Ideologie vom ‚Gerechten Krieg‘ und knüpft mit seiner Haltung an die früheren sogenannten Solidaritätsbewegungen an, die ebenfalls für die Unterstützung des militärischen Kampfes von Befreiungsbewegungen plädierten. Würde Uri Avnery auch für eine ausländische Militärintervention bei einem bewaffneten Aufstand der Palästinenser mit gegen die israelische Besatzung plädieren?

Die großen Erfolge des gewaltlosen Aufstandes in Tunesien und Ägypten zeugen erneut von der Möglichkeit, Konflikte ohne militärische Mittel zu bearbeiten. Daran ist als Ziel einer pazifistischen Friedensbewegung festzuhalten!

Andreas Buro ist Autor des Aachener Friedensmagazins aixpaix.de. Seine Beiträge sehen Sie hier


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