Judith Bernstein

Frieden adé

3. Juni 2013

Weil es die internationale Staatengemeinschaft nicht geschafft hat, Israel von seiner Politik abzubringen, hat sich die strategische Option erledigt, den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern auf politischem Wege zu regeln. Die Folge ist die Fortsetzung schwerer Krisen, die sich nach einem eher geringfügen Anlass blutig entladen können.

Trotz regelmäßiger Proteste setzt Israel seine Siedlungspolitik fort, wobei es im wahrsten Sinne des Wortes die Zwei-Staaten-Lösung verbaut hat. Aber auch die Vorstellung eines gemeinsamen jüdisch-arabischen Staates, die in Europa vielfach favorisiert wird, findet dort keine breite Zustimmung.

Was also bleibt, ist ein Staat Israel vom Mittelmeer bis zum Jordan, wie ihn gegenwärtig die zur Koalition gehörende Partei von Naftali Bennet fordert. Mit seinem Beharren auf dem Charakter als jüdischem Staat nimmt Benjamin Netanjahu zudem alle Juden der Welt in Haftung und hat es geschafft, dass Israel die Diaspora in die Verantwortung für seine Politik einbinden will und sie dafür missbraucht.

Wie üblich habe ich auch in diesem Frühjahr zwei Monate in Israel und Palästina verbracht und bin noch nie so desillusioniert zurückgekehrt. Die Hoffnungslosigkeit auf palästinensischer Seite und unter den schwachen Friedensgruppen in Israel war noch nie so stark zu spüren. Mit der politischen Unterstützung Seitens der Europäer (ganz zu schweigen von jener der Amerikaner) rechnet niemand mehr. Zwar lässt die finanzielle Unterstützung – die auch aus Deutschland kommt –, von Seiten der Basisarbeit zahlreicher NGOs und der Kirchen nicht zu wünschen übrig. Doch eine politische Lösung kann sie nicht ersetzen. Schon heute ist die Gefahr erkennbar, dass die Palästinenser zu Bittsteller gemacht werden.

Auf meine Frage, warum die Europäer rhetorisch glänzen wollen, politisch aber versagen, liegen die Antworten vordergründig auf der Hand: Zum einen wolle der Westen seine strategischen Interessen in dieser Region behaupten. Zum anderen sei Israel im Zeichen der Umbrüche im arabischen Umfeld der einzige stabile Faktor. Vor allem von deutscher Seite wird außerdem die Angst vor dem Antisemitismusvorwurf genannt.

Aber wiegen diese Argumente tatsächlich eine Friedenslösung auf? Hat sich nicht gezeigt, dass das Versagen der internationalen Politik gegenüber Israel antijüdischen Vorurteilen geradezu auf die Sprünge hilft? Sind nicht die wahren Freunde dieses States jene, die Israel vor der weltweiten Isolierung und der moralischen Selbstzerstörung bewahren wollen? Wie sonst lässt sich erklären, dass Israels Unbeliebtheit nur noch von jener Irans, Pakistans und Nordkoreas übertroffen wird?

Während die Mehrheit der Israelis politisch im Dunkeln tappt und nicht wissen will, wohin ihr Staat steuert, sitzen die Siedler fest im Sattel. Sie beherrschen nicht nur die Westbank und Ost-Jerusalem, sondern sie haben die staatlichen Einrichtungen erfolgreich unterwandert. Während sie ihre Agenda mit Unterstützung der Knesset und des Militärs durchdrücken, dienen ihnen die säkularen Israelis nur als Esel des Messias: Indem sie schweigen, verhelfen sie den nationalistischen und religiösen Extremisten zum Sieg.

Im Laufe meiner Gespräche hörte ich von Palästinensern immer wieder das Wort Sumud – standhaft bleiben, durchhalten. Trotz der Okkupation mit ihren Spuren im täglichen Leben der Bevölkerung erscheint die palästinensische Gesellschaft nach außen hin stark und den Israelis moralisch weit überlegen. Auch merkt sie, dass die Sympathien in der westlichen Welt ihnen gehören. Und vielleicht ist es die Überzeugung, dass sie nach den Kreuzrittern, den Osmanen und den Briten eines Tages auch die Israelis überleben werden. Ein trauriger Gedanke, der mittlerweile von vielen Israelis geteilt wird: Uns wird es bald nicht mehr geben. Liegt dies im Interesse Europas?


World Wide Web aixpaix.de

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